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Nachhaltigkeitsschachbrett - 4 Strategien
4 Strategien | 16 Ansätze | 64 Hebel
Auf Grundlage der beiden Achsen kann das Nachhaltigkeitsschachbrett in vier übergeordnete Strategien unterteilt werden.
Nutzung von Nachhaltigkeitsdaten
In der Vergangenheit betraten viele Unternehmen die Nachhaltigkeitsarena mit hohen Ambitionen, aber ohne die nötigen Systeme für eine verlässliche Erfassung der Fortschritte. Geeignete Tools und Technologien waren nicht vorhanden, und zu dick aufgetragene Nachhaltigkeitsversprechen führten nicht selten zu Greenwashing-Vorwürfen seitens wichtiger Stakeholder.
Bedingt durch den technologischen Fortschritt der vergangenen Jahre hat ein neuer Typ von Playern das Spielfeld betreten. Er verfügt über eine ausgeprägte organisatorische Reife mit klar definierten Rollen, robusten Prozessen und modernsten Analysewerkzeugen, verzichtet aber dennoch auf ein klares Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit. Diese Unternehmen halten sich oft zugute, dass sie von Haus aus vergleichsweise nachhaltig sind, da es sich zum Beispiel um technologieorientierte Dienstleister wie e-Retailer, reine Internetmarken oder reine Technologieanbieter handelt. Mit zunehmendem Reifegrad orientieren sich jedoch auch die Vertreter dieser Strategie um und achten vermehrt auf Nachhaltigkeit. Immer mehr von ihnen versuchen, zuverlässige Datensätze miteinander zu verknüpfen, um ausgewählte Nachhaltigkeitschancen für sich nutzbar zu machen.
Unternehmen mit dieser Strategie interessieren sich oft dafür:
- wie sich vorhandene Prozesse, Daten und Tools nutzen lassen, um durch mehr Nachhaltigkeit einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen,
- wie sich Nachhaltigkeitsrisiken effizient managen lassen,
- wie sich Daten basierend auf Analyseresultaten in die übergeordneten strategischen Zielsetzungen einordnen lassen.
Unternehmen in diesem Quadranten konzentrieren sich häufig auf ausgewählte Prioritäten, die einen unmittelbaren Bezug zu ihrem Kerngeschäft aufweisen. Sie erforschen einzelne Aspekte ihrer Daten und nutzen dafür leistungsstarke Systeme und Prozesse. Zugleich tun sie sich schwer damit, horizontal auf eine Führungsposition vorzurücken, da sie weder über eine entsprechende Gesamtausrichtung verfügen noch vom erzielbaren ROI überzeugt sind. Wenn sie einen unmittelbaren Wettbewerbsvorteil oder Nutzen erkennen, sind diese Unternehmen durchaus offen für mehr Nachhaltigkeit. Allerdings fehlt ihnen das Verständnis für die langfristigen Vorteile einer Nachhaltigkeitskultur. Ihr Handeln ist von einem starken internen Fokus geprägt und berücksichtigt nicht die Vorzüge des – häufig digitalen – Ökosystems entlang der Wertschöpfungskette, das ihnen zu einer deutlich stärkeren Position verhelfen könnte.
Nach unserer Einschätzung verfügen diese Unternehmen über alle Voraussetzungen für künftige Nachhaltigkeitsleader, da sie auf Expertenwissen zu einem bestimmten Aspekt der Nachhaltigkeit zurückgreifen können. Im Falle eines Retailers kann dies zum Beispiel Expertenwissen zu Transportemissionen sein, die entlang der Wertschöpfungskette auftreten. Dieses Wissen kann im Laufe der Zeit ausgebaut und in eine Führungsposition umgemünzt werden. Sie sind zudem in der Lage, den steigenden Erwartungen an Transparenz und Integrität gerecht zu werden, die verschiedene Stakeholder von Investoren bis zu Endverbrauchern an sie stellen. Um in den Quadranten für wegweisende Unternehmen vorzustoßen, benötigt ihre Nachhaltigkeitstransformation einen zusätzlichen Impuls durch Nachhaltigkeits-Champions oder eine stärkere Unterstützung durch das Management.
Innovationsführerschaft bei Nachhaltigkeit
Im Quadranten oben rechts in der Schachbrett-Matrix finden sich Unternehmen, die echte Nachhaltigkeitsleader sind: die Pioniere. Diese Unternehmen können häufig auf eine lange Geschichte von detaillierten und erfolgreichen Nachhaltigkeitsstrategien zurückblicken. Sie haben ihre Nachhaltigkeitsperformance Schritt für Schritt verbessert und wahren die Balance zwischen Ambitionen einerseits und Umsetzungsbereitschaft ihrer Systeme andererseits.
Dieser Quadrant markiert den Grenzbereich der Nachhaltigkeit. Er beinhaltet noch viel unbekanntes Terrain, das einige wenige Pioniere in dem Bestreben erkunden, ihre Schlagkraft bei Nachhaltigkeit auf die nächste Ebene zu heben. In der aktuellen Nachhaltigkeitslandschaft sehen wir kein einziges Unternehmen, das diesen Quadranten vollständig erobert hat und alle identifizierten Hebel nutzt – falls dies momentan überhaupt machbar oder notwendig ist. Unternehmen, die sich in diesen Quadranten vorwagen, verfügen über geeignete Systeme, um ihre Nachhaltigkeitsinitiativen über zahlreiche Regionen, Abteilungen und Geschäftsbereiche hinweg zu evaluieren, zu implementieren, zu erfassen und darüber Bericht zu erstatten. Sie besitzen außerdem die Unternehmenskultur und den Weitblick, um Veränderungen zu veranlassen und Zeichen zu setzen.
Dabei sind ihre wegweisenden Nachhaltigkeitsaktivitäten keinesfalls auf das eigene Unternehmen beschränkt. Nachhaltigkeitsleader wissen um die ganzheitliche Natur ihrer Aktivitäten und versuchen ganz bewusst, bei ihren Geschäftspartnern, Peers und Kunden einen Wandel einzuleiten und damit Nachhaltigkeitsbestrebungen und Innovation aktiv zu fördern. Manche Pioniere versuchen sogar, die politische Regulierung ihrer Branche in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft zu steuern. Sie wollen nicht nur das eigene Verhalten verändern, sondern auch das ihrer Branche und letztendlich der gesamten Gesellschaft. Ihre Innovationsführerschaft zahlt sich für die betreffenden Unternehmen aus, sowohl in der Top als auch der Bottom Line:
- Transparentere Prozesse und mehr Innovation sorgen für ein geringeres Abfallaufkommen.
- Geringere Kosten wirken sich positiv auf die Betriebseffizienz aus.
- Nachhaltige Produktportfolios und nachhaltige Bauweisen erschließen neue Kundensegmente.
- Neue, oft zirkuläre (das heißt der Kreislaufwirtschaft verpflichtete) Geschäftsmodelle erzeugen neue Umsatzströme.
- Eine Premium-Markenwahrnehmung bindet Kunden und bietet Möglichkeiten für höhere Preise und Margen.
Eine erstklassige Markenwahrnehmung erhöht zudem die Attraktivität für Talente (Stichwort „Kampf um Fachkräfte“), stärkt die Moral der Beschäftigten und sorgt für Rückhalt in der Öffentlichkeit.
Unternehmen, die sich als Nachhaltigkeitsleader etablieren wollen, zielen häufig darauf ab:
- ein Nachhaltigkeitsökosystem aufzubauen,
- funktionsübergreifende Zuständigkeiten für Nachhaltigkeit zu definieren,
- Nachhaltigkeit als Service anzubieten,
- neue, zirkuläre Geschäftsmodelle zu entwickeln,
- als Katalysator für nachhaltige Innovationen zu fungieren, um diese entlang ihrer Wertschöpfungskette zu fördern und dadurch neu zu denken, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet.
Sicherstellung der Nachhaltigkeits-Compliance
Unternehmen mit Compliance-Fokus betrachten Nachhaltigkeit als Formalie oder Hygienefaktor, nicht jedoch als Mittel für die Generierung von Mehrwert. Sie erfüllen zwar die gesetzlichen Mindestanforderungen, verfügen aber nur über sehr beschränkte Fähigkeiten zur Datenerfassung und -analyse. Ihre Einstellung zum Thema Nachhaltigkeit stützt sich oft auf fünf Argumente:
- Die Investitionsrentabilität (ROI) von Nachhaltigkeitsmaßnahmen ist unsicher.
- Nachhaltigkeit gilt als Expertenthema und als Beiwerk zum „echten“ Geschäft.
- Das Risikopotenzial wird als gering eingestuft.
- Es gibt nur begrenzten Druck seitens der Verbraucher (beispielsweise im B2B-Sektor).
- Mit Investitionen in Nachhaltigkeit lassen sich nur geringe Wettbewerbsvorteile erzielen.
Der Schwerpunkt dieser Unternehmen liegt somit auf der Einhaltung bestehender Gesetze und Vorschriften, da für sie nicht ersichtlich ist, wie sie mit Nachhaltigkeit ihre Wettbewerbsposition und Rentabilität verbessern können. Unternehmen in diesem Quadranten konzentrieren sich darauf:
- was die gesetzlichen Anforderungen für sie konkret bedeuten,
- wie sie die Erfüllung dieser Anforderungen nachweisen können (Audit),
- wie sie beurteilen können, welche Daten benötigt werden, und wie sich diese erhalten lassen (KPIs),
- wie sie Daten und Analysen im Einklang mit den Anforderungen bereitstellen können (Zieldefinition) und
- wie sie ausgewählte Verantwortlichkeiten zuweisen können (Transparenz).
Unternehmen, die in diesem Quadranten angesiedelt sind, verzichten auf Chancen zur Markenbildung und gefährden dadurch möglicherweise ihren Rückhalt bei internen Talenten und in der Öffentlichkeit. Ihnen ist nicht bewusst, dass es auch verdeckte Nachhaltigkeitsrisiken gibt, zum Beispiel durch Lieferanten in der vorgelagerten Wertschöpfungskette. Sie verzichten außerdem auf Investoren, die ihre Anlageentscheidungen auf Basis von ESG-Prinzipien fällen. Nicht zuletzt fordern Regulierungsbehörden und Finanzinstitute möglicherweise mehr Nachhaltigkeitsanstrengungen, um Genehmigungen zu erteilen und/oder Finanzierungen anzubieten.
Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen in diesem Quadranten eher reagieren als agieren. Paradoxerweise sind gerade Compliance-orientierte Unternehmen oft am wenigsten daran interessiert, bei der Gestaltung von Gesetzen und Vorschriften selbst mitzuwirken. Sie betreiben selten aktive Lobbyarbeit, um den Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen, und lassen sich so die Chance entgehen, ihre Expertise einzubringen und zu einer optimalen Lösung zu gelangen.
Wenn Ihr Unternehmen im Compliance-Quadranten beginnt, sollten Sie sich in der Matrix zunächst nach oben in Richtung organisatorischer Reife bewegen, bevor Sie auf der horizontalen Achse Ihre Ambitionen ausbauen, um die größtmögliche Wirkung zu entfalten. Mit dieser Vorgehensweise sorgen Sie dafür, dass Sie über die notwendigen Systeme verfügen, bevor Sie das Ziel einer ambitionierten Führungsposition ins Visier nehmen.
Wertschöpfung durch Nachhaltigkeit
Unternehmen in diesem Quadranten zeichnen sich durch hohe Ambitionen und eine integrierte Führung aus. Da sie bei der organisatorischen Reife jedoch hinterherhinken, können sie sich keine echte Führungsposition erarbeiten. In der Öffentlichkeit galten diese Unternehmen lange als Nachhaltigkeitsleader. Tatsächlich sind sie aber oft wenig vertraut mit Nachhaltigkeitseffekten – ein Defizit, das die Gefahr von Greenwashing-Vorwürfen in sich birgt. Die betreffenden Unternehmen haben gute Voraussetzungen dafür, verlässlichere und bessere Daten zu sammeln, mit denen sie Nachhaltigkeitsinitiativen gründlicher verstehen und die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsmaßnahmen erfassen können.
So aufgestellte Unternehmen können aus der Nachhaltigkeit einen Mehrwert generieren, da sie sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen der Nachhaltigkeit kennen. Ihr ausgeprägtes Engagement spornt zu zielgerichtetem internem Handeln an und wird durch dieses wirksam unterstützt. Unternehmen in diesem Quadranten nutzen häufig sogenannte Business Evangelists, mitunter den CEO oder Unternehmensgründer, um ihre übergeordnete Mission, Vision und die Unterstützung durch das Management zu transportieren und die Idee einer Führungsposition in Sachen Nachhaltigkeit intern zu verankern und zu stärken. Dank des hohen Bekanntheitsgrads dieser Unternehmen entstehen Partnerschaften mit öffentlichen Institutionen (PPP) und (branchenübergreifenden) Peers, was wiederum einen kollaborativen Ansatz und einen ganzheitlicheren Blick auf Nachhaltigkeit fördert. Unternehmen in diesem Quadranten sind davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit zu wirtschaftlichen Vorteilen führt.
Durch den Austausch von Ideen und die gemeinsame Ressourcennutzung mit Partnern gehen diese Unternehmen bei der Entwicklung bestimmter Themen voran, indem sie sich zum Beispiel in Industrieverbänden für die Abfallvermeidung einsetzen. Sie werden als Leader wahrgenommen, was sie attraktiv für Talente macht und für eine wohlwollende Betrachtung durch Finanzinstitute und Behörden sorgt.
Was in diesem Quadranten noch fehlt, ist eine nachhaltigkeitsorientierte Reife, eine bessere Systemunterstützung sowie mehr und konsistentere Daten. Die betreffenden Unternehmen sollten daher überlegen:
- wie sie Rollen, Prozesse und Zuständigkeiten besser definieren können, um eine stabilere Befähigungsbasis für ihre Nachhaltigkeitsinitiativen zu schaffen,
- wie sie ihren Unternehmenszweck an Analysen und messbaren Fortschritten ausrichten und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Investitionsbedarf und geplanter Wirkung erhalten können,
- wie sie ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen ökologischen, sozialen und ethischen Belangen sowie der Governance (gemäß unserer Definition) herstellen können,
- wie sie verhindern können, dass ihre Zusagen als Greenwashing interpretiert werden, da sie nicht auf konsistenten Daten beruhen.