Text von Olivier Ducloux und Moritz Tybus

Hallo Işik, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, uns Rede und Antwort zu stehen. Könntest du uns zu Beginn mehr über dich selbst erzählen?
Das Gaming begleitet mich schon ein Leben lang. Was als Teenager mit einem Commodore 64 anfing, hat bis heute nicht aufgehört. Ich habe zwar nie an Wettkämpfen teilgenommen, aber schon in der Highschool habe ich Counter-Strike gespielt, sodass ich bereits mit dem Konzept und Potenzial vertraut war. Im vergangenen Jahr hat sich ein ehemaliger Kollege Heroic angeschlossen. Aus diesem Anlass habe ich ihn kontaktiert, weil ich von E-Sport und seinen Möglichkeiten fasziniert war. Und nun bin ich auch hier gelandet.

Was für ein Unternehmen verbirgt sich hinter dem Namen Heroic?
Heroic ist eine E-Sport-Brand mit Hauptsitz in Oslo, deren Wurzeln auf die dänische Counter-Strike-Szene zurückgeht. Ein starkes organisches Wachstum in Verbindung mit Übernahmen hat dazu geführt, dass das Unternehmen in der gesamten skandinavischen Region gewachsen ist und bereits weitere Spiele im Programm hat. Wir verstehen uns weiterhin als eine E-Sport-Organisation mit Purpose. Inspiriert von den persönlichen Erfahrungen des Gründers, möchte Heroic eine Plattform sein, die für Inklusion und Erfolgserlebnisse durch Gaming steht – unabhängig davon, wer man ist oder woher man kommt.

Heroic ist einer der Hauptakteure in der globalen Szene. Welche strategischen Prioritäten setzt ihr im Hinblick auf die Entwicklung des E-Sports insgesamt?
Ich würde sagen, dass sich unsere eigenen Prioritäten und Herausforderungen nicht groß von denen der vielen E-Sport-Organisationen in der Gaming-Welt unterscheiden. Unsere Prioritäten sind Talent und Leistung, Publikum und Fangemeinde sowie Kommerzialisierung.

Wie sehen diese konkret aus?
E-Sport-Teams leben von und sterben mit ihren Protagonisten – wie die traditionellen Sportarten auch. Deshalb sind wir ständig auf der Suche nach den besten Talenten und unterstützen unsere Sportler dabei, das Beste aus sich herauszuholen. Parallel dazu schließen wir Franchise-Vereinbarungen mit großen Veranstaltern wie ESL und BLAST ab, um an allen Top-Events teilnehmen zu können und die Sichtbarkeit unserer Teams und Sportler zu erhöhen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist der Ausbau unserer Reichweite, sowohl in Bezug auf Zuschauer und Fans als auch auf die Qualität unserer Interaktionen mit ihnen. Durch die Teilnahme an den großen Turnieren können wir die Marke Heroic einem immer größeren Publikum vorstellen und unsere Fangemeinde erweitern. Anders als bei traditionellen Sportarten, die in der Regel eine starke lokale Fangemeinde haben, ist E-Sport seinem Wesen nach global. Das heißt: Wir müssen mit unseren Fans interagieren, egal wo sie beheimatet sind, und zwar auf eine Art und Weise, die sie anspricht und die ihnen einen Mehrwert bietet. Wir wollen eine direkte Beziehung zu ihnen aufbauen. Daher produzieren wir Inhalte und erzählen Geschichten, von denen die Menschen jeweils vor Ort angesprochen werden (sei es in China, Brasilien oder Deutschland), und zwar in ihrer Sprache. Es bedeutet natürlich auch, in lokale Talente zu investieren. Und letztlich sind wir natürlich gleichermaßen am wirtschaftlichen Erfolg interessiert: durch eine bessere Monetarisierung unserer Assets und unseres Publikums, durch die Entwicklung von Partnerschaften in der Branche sowie über die Einführung einer Reihe von Produkten, mit denen wir den Dialog mit unseren Fans auch offline fortsetzen können.

Welchen Herausforderungen muss sich Heroic stellen und inwieweit gilt das für die gesamte Branche?
Die hauptsächlichen Herausforderungen von Heroic (und der meisten anderen Branchenunternehmen) liegen im Management des Wachstums – das mit vielen Fragen verbunden ist. Wohin sollen wir uns entwickeln? Welches Game spricht unser Publikum an und lässt es wachsen? Auf welche Regionen sollen wir uns fokussieren? Wie kann der Markt mit nicht endemischen Marken – also Marken, die nicht im E-Sport beheimatet oder bereits stark involviert sind, wie etwa große FMCG-Marken – erweitert werden? Und wie kann das Wachstum finanziert werden? Der globale wirtschaftliche Kontext hat sich verändert und der Zugang zu Finanzmitteln ist schwierig geworden. Die meisten E-Sport-Organisationen schreiben Verluste und sind derzeit auf externe Finanzierungen angewiesen, um sich zu entwickeln und zu wachsen.

Die Monetarisierung und Kommerzialisierung scheint also ein zentrales Thema zu sein. Ist das vielleicht eine europäische Besonderheit? Wie will die Branche dieses Problem angehen?
Ich würde nicht sagen, dass es sich hier um eine europäische Eigenheit handelt. Dieser Herausforderung muss sich die Branche weltweit stellen. Je nachdem, mit welcher Sportart man Vergleiche zieht: Der durchschnittliche E-Sport-Fan ist derzeit um den Faktor 10 bis 20 weniger monetarisiert als der traditionelle Sportfan. Mehrere Ursachen wirken hier. Das Publikum besteht insgesamt aus der Generation Z und jungen Millennials, die von vielen Marken noch nicht erreicht worden sind. Doch das Bemühen ist auch gering: Die niedrige Finanzkraft macht diese Gruppen für sie unattraktiv. Andererseits: Der E-Sport verzeichnet weltweit mehr als eine halbe Milliarde Zuschauer – das Potenzial ist also, rein quantitativ, vorhanden!

Welche Schlüsse leitest du daraus ab, vor allem im Vergleich mit dem herkömmlichen Sport-Business?
Der traditionelle Sport erzielt einen großen Teil seiner Einnahmen aus Übertragungsrechten und dem Verkauf von Eintrittskarten für die Stadien; beides ist für uns nur begrenzt möglich. E-Sport war hingegen schon seit jeher kostenlos online zu sehen, und nur wenige wagen es, die Fans zu verprellen, indem sie für den Zugang Geld verlangen. Eine weitere Herausforderung ist das Sponsoring. Einige Kernmarken sind bereits fest in der Branche verankert (Gaming-Hardware-Marken oder Energydrinks), aber wir müssen eine solche Anbindung auf nicht endemische Marken ausweiten, um die Monetarisierung wirklich zu steigern. Viele Marken müssen erst darüber aufgeklärt werden, was E-Sport überhaupt ist. Noch wichtiger ist es zu verdeutlichen, wie man E-Sport-Fans erreicht. Sie sind sehr clever und dulden keine plumpe Werbung. Man muss ihnen also einen Mehrwert bieten, sie unterhalten und ihnen Geschichten erzählen, die für sie relevant sind; ein Know-how, das wir natürlich haben.

Wenn Du die Dinge jetzt aus einer etwas weiteren Perspektive betrachtest, was unterscheidet europäischen E-Sport Deiner Meinung nach von dem in anderen Weltgegenden? Gibt es spezifische Besonderheiten und Möglichkeiten?
Wir können die Welt in drei große Regionen einteilen, wenn es um E-Sport geht: Asien, Nord- und Südamerika und Europa. Asien ist mit Abstand der am weitesten entwickelte Markt, die Fangemeinde ist riesig. E-Sport ist hier bereits im Mainstream angelangt und steht auf einer Stufe mit dem traditionellen Sport. In Südkorea zum Beispiel trat zur Anfeuerung vor einem wichtigen Spiel der Fußballnationalmannschaft ein Spitzenteam der League of Legend auf den Plan. Amerika ist auf einem anderen Weg und hat sich, wie es für diesen Markt typisch ist, weniger auf die wettbewerbsorientierte Seite des E-Sports konzentriert, sondern mehr auf den Lifestyle-Aspekt mit Merchandising und Medienproduktion als Kerngeschäft. Hier verleiht E-Sport den Marken Glaubwürdigkeit; ist aber nicht Kern der Marke.

Und wie sieht es in Europa aus?
Europa ist immer noch auf der Suche, wie das Potenzial ausgeschöpft werden kann, wobei sich auch die Herausforderung stellt, die inhärente Fragmentierung des Marktes mit zwei Dutzend Sprachen und vielen lokalen Kulturen unter einen Hut zu bringen. Wie baut man eine erfolgreiche paneuropäische Marke auf, wenn man gleichzeitig einen spanischen und einen norwegischen Fan ansprechen will, insbesondere im Vergleich zu einheitlichen Märkten wie den USA oder China? Neben der Frage der Fangemeinde besteht die Schwierigkeit, europäische Sponsoren zu finden, die grenzüberschreitend und nicht nur lokal attraktiv sind. Alle europäischen E-Sport-Organisationen arbeiten daran, Lösungen für diese Herausforderungen zu finden.

Wo siehst du die Branche in fünf Jahren?
Das ist ganz einfach: Das Wachstum der Branche wird sich fortsetzen, mit mehr Fans, größeren Umsätzen, mehr Spielen. Immer mehr Spieleproduzenten werden versuchen, ihre Games in E-Sport-Titel zu verwandeln. Ein anderer Aspekt ist die weltweite Ausbreitung des mobilen E-Sports, ein in Asien bereits großer Markt. Mobilspezifische Titel oder sogar mobile Adaptionen klassischer Titel werden sich behaupten. Es wird auch eine neue Generation von Fans heranwachsen, die mit den neuen Spielen aufgewachsen sind und sie bereits als Zuschauer erlebt haben. Noch mehr Spieleproduzenten werden E-Sport zu einem Schlüsselelement ihres Geschäftsmodells machen und E-Sport-Organisationen am Erfolg von Spielen beteiligen.

Schlussfrage: Welche der traditionellen Sportarten ist am stärksten gefährdet, in Zukunft von E-Sport überholt zu werden?
Ich will es mal so ausdrücken: Ich glaube nicht, dass der Fußball gefährdet ist, zumindest nicht mittelfristig, aber alle anderen traditionellen Sportarten sind es, ein Stück weit. Deshalb: Passt gut auf, was hinter eurem Rücken geschieht, denn der E-Sport ist im Kommen!