Text von Clara Müller

Die Zahlen sind gravierend: Mehr als 25 Millionen Zwangsarbeiter:innen weltweit, nahezu 80 Millionen Mädchen und Jungen, die von Kinderarbeit betroffen sind. Und dazu jährlich etwa 43 Millionen Tonnen gefährlicher Chemikalien, die global bei der Textilproduktion freigesetzt werden. Genügend Gründe, mit einem eigenen Lieferkettengesetz für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Mit ihm soll künftig ausgeschlossen werden, dass soziale oder ökologische Ausbeutung in Produkte und Dienstleistungen einfließt.

Nicht nur auf nationaler Ebene wird verstärkt auf Menschenrechts- und Umweltaspekte entlang der Lieferketten von Unternehmen geschaut. Auch europaweit tut sich viel: Denn in die gleiche Stoßrichtung wie das deutsche Lieferkettengesetz geht auch ein EU-Richtlinienvorschlag, der erstmalig im Februar 2022 präsentiert wurde. Basierend auf bereits gewonnenen Erkenntnissen aus dem deutschen Lieferkettengesetz sieht der EU-Richtlinienvorschlag beispielsweise vor, dass EU-Unternehmen ab einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro ihre interne Konzernpolitik am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ausrichten müssen.

Doch der Reihe nach: Das deutsche Lieferkettengesetz, das eigentlich Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) heißt, gilt seit dem 1. Januar dieses Jahres. Das Ziel: die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entlang der gesamten Lieferkette – von der Gewinnung des Rohmaterials bis zum fertigen Produkt. Dementsprechend verbietet das neue Gesetz Kinderarbeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz, Zwangsarbeit und die Missachtung der Koalitionsfreiheit und von Mindeststandards des Arbeitsschutzes. Daneben führt es auch sogenannte umweltbezogene Pflichten auf: Es untersagt die Herbeiführung von Umweltverschmutzungen sowie „Land Grabbing“ und den Entzug der Lebensgrundlagen.

Aber welche Unternehmen sind überhaupt an das Gesetz gebunden – und wie soll es innerhalb einer globalen und komplexen Lieferkette umgesetzt werden? Zum Start gelten die Regelungen für Unternehmen mit mindestens 3.000 in Deutschland beschäftigten Angestellten. Damit betrifft es derzeit rund 700 Betriebe. Ab dem kommenden Jahr sinkt dieser Schwellenwert dann auf 1.000 Angestellte. „Schätzungen zufolge werden 2024 etwa 2.900 Unternehmen das neue Lieferkettengesetz berücksichtigen müssen“, erklärt Michael Römer, Kearney-Partner und Experte für Compliance und Risikomanagement. Betriebe mit weniger Arbeitnehmer:innen sind hingegen nicht direkt an das LkSG gebunden, werden jedoch trotzdem Kontaktpunkte zu dem neuen Gesetz haben – etwa über größere Zulieferunternehmen oder konzernabhängige Firmen. „Auch wenn kleinere Unternehmen nicht direkt davon betroffen sind, so müssen sie doch als Teil der Lieferkette damit rechnen, dass ihre Kunden auf die Einhaltung des Gesetzes bestehen. Damit sind sie mittelbar ebenfalls betroffen“, ergänzt Michael Römer.

In welchem Maß Unternehmen Zulieferer kontrollieren sollten, ist dabei durchaus unterschiedlich. „Während die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards bei direkten Zulieferern konkret individuell geprüft werden sollte, sind die Anforderungen bei indirekten Zulieferern deutlich geringer. Hier müssen die Unternehmen erst eingreifen, wenn es klare Anzeichen von Menschenrechtsverletzungen gibt“, so Tobias Albers, Supply-Chain- und Nachhaltigkeitsexperte.

Weiter lesen? Jetzt kostenlos "tech tonic" lesen